Ein Patient kommt mit einem Rezept für Levothyroxin in die Praxis. Der Arzt verschreibt es mit dem Markennamen - nicht weil es medizinisch nötig ist, sondern weil er es so gelernt hat. In der Ausbildung wurde ihm nie erklärt, warum ein Generikum genauso wirkt. Das ist kein Einzelfall. Tausende Ärzte weltweit verschreiben Generika nicht, weil sie nicht wissen, dass sie gleichwertig sind - sondern weil sie nie richtig darüber aufgeklärt wurden.
Was bedeutet Bioäquivalenz wirklich?
Generika müssen nicht identisch sein - sie müssen gleich wirken. Das ist der Kern der Bioäquivalenz. Die FDA und die EMA verlangen, dass ein Generikum in der Menge und Geschwindigkeit, mit der der Wirkstoff ins Blut gelangt, nicht mehr als 20% von der Originalsubstanz abweicht. Genauer: Die 90%-Konfidenzintervalle für AUC (Fläche unter der Kurve) und Cmax (höchste Konzentration) müssen zwischen 80% und 125% liegen. Das ist kein Zufall. Das ist Wissenschaft. 24 bis 36 gesunde Freiwillige nehmen das Medikament ein, das Blut wird regelmäßig analysiert, und die Daten werden statistisch ausgewertet. Wenn das Generikum in diesem Bereich liegt, ist es therapeutisch gleichwertig.Doch in der medizinischen Ausbildung? Kaum ein Wort darüber. Eine Studie aus Malaysia zeigte: Vor einer Schulung glaubten 100% der Ärzte, Generika seien weniger wirksam. Sie dachten, die Inhaltsstoffe wären schlechter, die Herstellung ungenauer. Die Wahrheit? Die gleichen strengen Prüfungen gelten für Marken- und Generikadrugs. Die einzigen Unterschiede sind Hilfsstoffe - wie Farbstoffe oder Füllstoffe. Diese beeinflussen die Wirkung nicht. Sie beeinflussen nur die Form, die Farbe, den Geschmack.
Warum lernen Ärzte es nicht?
Medizinische Fakultäten verbringen Stunden mit der Pharmakologie von Markenmedikamenten. Warum? Weil die Lehrbücher sie so schreiben. In 78% der Fallbeispiele in US-amerikanischen Lehrplänen werden Markennamen verwendet - nicht die internationale Bezeichnung (INN). Ein Arzt lernt also: „Dieses Medikament heißt Concerta“ - nicht „methylphenidat“. Wenn er später ein Generikum sieht, denkt er: „Das ist etwas anderes.“Dazu kommt: Keine Prüfung fragt nach Generika. Keine Klausur verlangt, dass du die Bioäquivalenz erklärst. Keine Klinik überwacht, ob du INN verwendest. Die Ausbildung ist auf Markennamen ausgerichtet - und das prägt sich ein. Ein junger Arzt sieht seinen Chef immer den Markennamen verschreiben. Er kopiert das. Nicht aus Unwissenheit - aus Gewohnheit.
Ein weiteres Problem: Zeit. Ein Arzt hat im Schnitt 12 bis 18 Sekunden, um eine Verschreibung abzugeben. In dieser Zeit denkt er nicht an Bioäquivalenz. Er denkt an: „Was hat der Patient letztes Mal genommen?“, „Hat der Patient Beschwerden gemacht?“, „Was ist schnell und einfach?“
Was passiert, wenn man es nicht lernt?
Die Folgen sind nicht nur theoretisch. In den USA verschreiben Ärzte Generika in 90% der Fälle - aber nur 31% verwenden die INN. Das bedeutet: Der Patient bekommt ein anderes Generikum, wenn er die Apotheke wechselt. Das ist kein Problem - wenn alle gleich wirken. Aber wenn der Arzt nicht weiß, dass sie gleich wirken, dann macht er sich Sorgen.Neurologen zum Beispiel zögern, bei Epilepsie auf Generika umzusteigen. 23,4% sagen, sie fürchten, dass der Wirkstoff nicht stabil bleibt. Doch die FDA hat klargestellt: Bioäquivalenz gilt für alle Wirkstoffe - egal ob bei Blutdruckmedikamenten, Antiepileptika oder Schilddrüsenhormonen. Die gleichen Regeln. Die gleichen Tests. Die gleiche Sicherheit.
Ein anderes Beispiel: Levothyroxin. 37,8% der Ärzte in einer Umfrage gaben an, sie hätten Bedenken, weil Patienten nach einem Wechsel zu einem Generikum „nicht so gut“ waren. Doch in den meisten Fällen lag der Grund nicht am Medikament, sondern an der Dosis. Levothyroxin ist empfindlich - kleine Gewichtsveränderungen, andere Nahrungsmittel, andere Medikamente können die Wirkung beeinflussen. Ein Wechsel der Marke hat nichts damit zu tun. Aber wenn der Arzt nicht weiß, warum, dann denkt er: „Das Generikum ist schlecht.“
Was funktioniert - und was nicht?
Ein 45-minütiger Vortrag? Erhöht das Wissen um 25%. Aber die Verschreibungspraxis bleibt gleich. Warum? Weil Wissen allein nicht reicht. Man muss es üben.Ein Ansatz, der funktioniert: der „Teach-Back“-Ansatz. Der Arzt erklärt dem Patienten, warum das Generikum gleichwertig ist. Dann fragt er: „Können Sie mir sagen, was Sie verstanden haben?“ Das zwingt zur Klarheit. In einer Praxis in den USA reduzierte das die Fragen der Patienten um 63%. Die Ärzte lernten, ihre eigene Unsicherheit zu erkennen - und sie zu überwinden.
Ein anderer Ansatz: INN-Verschreibung in der Ausbildung vorschreiben. Seit 2018 verlangt das Karolinska-Institut in Schweden, dass Studenten bei jeder Verschreibung den Wirkstoff - nicht den Markennamen - schreiben. Ergebnis: 47% mehr INN-Verschreibungen nach Abschluss. Das ist kein Zufall. Das ist Struktur.
Was nicht funktioniert? Gedruckte Broschüren. Eine europäische Studie zeigte: Nur 7,2% mehr Ärzte verschrieben Generika, nachdem sie eine Broschüre bekommen hatten. Kein Gespräch. Keine Diskussion. Keine Übung. Kein Effekt.
Was ändert sich jetzt?
2023 startete die FDA das Programm „Generic Drug Education for Healthcare Professionals“. 15-Minuten-Module, online, kostenlos. Sie erklären Bioäquivalenz in einfachen Worten. Sie zeigen: „Ein Generikum ist kein billigeres Produkt. Es ist ein gleichwertiges Medikament.“2024 veröffentlichte die AHRQ neue Leitlinien: „Verwenden Sie INN. Erklären Sie Bioäquivalenz. Nutzen Sie Teach-Back.“
Und ab Q3 2025 wird die FDA Bioäquivalenz-Daten direkt in elektronische Patientenakten einbinden. Wenn ein Arzt ein Generikum verschreibt, erscheint ein kleiner Hinweis: „Bioäquivalent zu [Markenname]. Wirkstoff: [INN].“ Kein Nachschlagen. Kein Zweifel. Nur Klarheit.
Warum ist das wichtig?
In den USA werden 90% aller Rezepte mit Generika abgegolten - aber nur 22% der Ausgaben. Das bedeutet: Jedes Mal, wenn ein Arzt ein Generikum verschreibt, spart das dem System Geld. Ohne dass der Patient weniger bekommt. Im Gegenteil: Er bekommt das Gleiche - zu einem Bruchteil des Preises.Global gesehen: In Deutschland werden 91% aller Rezepte mit Generika abgegolten. In Japan nur 23%. Der Unterschied? Nicht die Qualität der Medikamente. Der Unterschied ist die Ausbildung. Die Kultur. Die Gewohnheit.
Wenn Ärzte lernen, dass Generika gleichwertig sind - und wenn sie das auch praktizieren -, dann kann das Gesundheitssystem jährlich 156 Milliarden Dollar sparen. Bis 2030. Das ist nicht Theorie. Das ist berechnet. Und es hängt davon ab, ob Ärzte in der Ausbildung lernen, was sie wirklich wissen müssen.
Was kann jeder Arzt heute tun?
Sie müssen nicht auf eine neue Ausbildung warten. Sie können heute anfangen:- Verwenden Sie bei jeder Verschreibung den Wirkstoffnamen (INN). Nicht den Markennamen.
- Wenn ein Patient nachfragt: „Ist das das Gleiche?“, sagen Sie: „Ja. Es hat den gleichen Wirkstoff, wird vom gleichen Behörde geprüft, wirkt genauso.“
- Probieren Sie den Teach-Back aus: „Können Sie mir sagen, warum wir das Generikum nehmen?“
- Wenn Sie unsicher sind: Schauen Sie nach. Die FDA und die EMA haben kostenlose Materialien. Nutzen Sie sie.
- Reden Sie mit Kollegen. Fragen Sie: „Warum verschreiben Sie das Markenmedikament?“ Manchmal ist die Antwort nur: „Weil ich es immer so gemacht habe.“
Es geht nicht darum, Markenmedikamente zu verbieten. Es geht darum, Ärzte zu befähigen, fundierte Entscheidungen zu treffen - und Patienten zu schützen. Nicht durch mehr Medikamente. Durch besseres Wissen.
Sind Generika wirklich genauso wirksam wie Markenmedikamente?
Ja. Generika müssen dieselben strengen Bioäquivalenz-Standards erfüllen wie Markenmedikamente. Sie enthalten denselben Wirkstoff in derselben Menge und müssen im Körper gleich schnell und in gleichem Umfang aufgenommen werden. Die FDA und die EMA prüfen das mit klinischen Studien an gesunden Freiwilligen. Die einzigen Unterschiede sind Hilfsstoffe - wie Farbstoffe oder Füllstoffe - die die Wirkung nicht beeinflussen.
Warum verschreiben Ärzte trotzdem oft Markenmedikamente?
Weil sie in der Ausbildung hauptsächlich mit Markennamen lernen. Lehrbücher, Fallbeispiele und Kliniken verwenden fast immer Markennamen. Das prägt sich ein. Außerdem haben viele Ärzte Angst vor Beschwerden - etwa nach dem Concerta-Vorfall 2016, wo einzelne Generika vorübergehend als weniger wirksam berichtet wurden. Diese Fälle waren selten und lagen oft an falscher Dosierung oder anderen Faktoren - nicht an der Bioäquivalenz.
Was ist INN und warum ist es wichtig?
INN steht für International Nonproprietary Name - den internationalen Wirkstoffnamen. Statt „Concerta“ schreibt man „Methylphenidat“. Das ist wichtig, weil es klarmacht, welcher Wirkstoff verschrieben wird - unabhängig von der Marke. Es verhindert Verwirrung, wenn der Patient die Apotheke wechselt, und fördert die Verwendung von Generika. Seit 2018 schreibt das Karolinska-Institut INN in Prüfungen vor - mit einem Anstieg der INN-Verschreibungen um 47%.
Warum zögern Neurologen, bei Epilepsie auf Generika umzusteigen?
Einige Neurologen fürchten, dass bei Medikamenten mit engem therapeutischem Fenster - wie Antiepileptika - kleine Unterschiede zu Anfällen führen könnten. Doch die FDA hat klargestellt: Bioäquivalenz gilt für alle Wirkstoffe - egal ob bei Blutdruckmitteln, Schilddrüsenhormonen oder Epilepsie-Medikamenten. Die gleichen Tests, die gleichen Grenzwerte. Die wenigen Berichte von Problemen sind meist auf andere Faktoren zurückzuführen - wie Dosisänderungen oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.
Wie kann ich als Arzt meine Verschreibungspraxis verbessern?
Beginnen Sie mit drei Schritten: 1) Verschreiben Sie immer den Wirkstoffnamen (INN). 2) Erklären Sie Patienten mit einfachen Worten, dass Generika gleich wirken - und fragen Sie danach: „Können Sie mir sagen, warum wir das nehmen?“ (Teach-Back). 3) Nutzen Sie kostenlose Ressourcen der FDA oder EMA, um Ihre eigenen Kenntnisse zu vertiefen. Es braucht keine große Schulung - nur bewusste kleine Schritte.
Kommentare
Asbjørn Dyrendal Dezember 2, 2025
Ich hab letzte Woche ein Generikum genommen und dachte, ich wär vergiftet. War nur ein anderes Füllstoff-Gemisch. Kein Wunder, dass Leute misstrauisch sind.