Wenn jemand eine Autoimmunerkrankung hat oder nach einer Organtransplantation immungeschwächt ist, dann ist eine Impfung nicht einfach nur ein Termin im Kalender. Es ist eine komplexe Abwägung: Wann genau sollte der Impfstoff kommen? Welche Medikamente müssen pausiert werden? Und wird die Impfung überhaupt wirken? Die Antwort ist nicht einheitlich - sie hängt vom Medikament, von der Krankheit und vom individuellen Immunstatus ab.
Warum funktionieren Impfstoffe bei immungeschwächten Patienten oft nicht so gut?
Ein gesunder Körper reagiert auf einen Impfstoff, indem er Antikörper produziert und Gedächtniszellen bildet. Diese Zellen merken sich den Erreger und greifen ihn bei einer echten Infektion schnell an. Bei Menschen, die Immunsuppressiva einnehmen - etwa bei Rheuma, Morbus Crohn, Lupus oder nach einer Transplantation - ist dieses System abgeschwächt. Die Medikamente hemmen gezielt Teile des Immunsystems, um Entzündungen zu dämpfen oder Abstoßungsreaktionen zu verhindern. Doch genau diese Teile braucht der Körper auch, um auf Impfstoffe zu reagieren.
Studien zeigen: Nach zwei Dosen des mRNA-COVID-19-Impfstoffs hatten Transplantatempfänger durchschnittlich 56 % niedrigere Antikörperspiegel als gesunde Menschen. Bei Patienten mit Blutkrebs, die Rituximab erhalten, lag die Wirksamkeit des Impfstoffs bei nur 30-40 %. Selbst wenn die Antikörper fehlen, kann das T-Zell-Immunsystem noch Schutz bieten - das ist ein wichtiger Punkt, den viele übersehen.
Wann ist der beste Zeitpunkt für eine Impfung?
Die goldene Regel lautet: Impfen, bevor die Immunsuppression beginnt. Wenn möglich, sollten alle notwendigen Impfungen - also Tetanus, Pneumokokken, Grippe, COVID-19 - mindestens 14 Tage vor dem Start einer neuen Therapie verabreicht werden. Das gilt für alle Medikamente, die das Immunsystem dämpfen.
Wenn die Therapie aber schon läuft, wird es kompliziert. Hier unterscheiden sich die Empfehlungen je nach Medikament:
- Rituximab, Ocrelizumab, Obinutuzumab (B-Zell-depletierende Therapien): Diese Medikamente zerstören die B-Zellen, die Antikörper produzieren. Die Impfung muss mindestens 4-5 Monate nach der letzten Infusion erfolgen. Ideal wäre sogar 6-12 Monate, besonders bei aggressiven Erkrankungen. Vor der nächsten Infusion sollte mindestens 2-4 Wochen Abstand liegen. Viele Experten raten, die nächste Rituximab-Dosis um zwei Wochen zu verschieben, wenn eine Grippe- oder COVID-Impfung ansteht - wenn die Krankheit das zulässt.
- Methotrexat: Bei Gicht oder Rheuma wird oft Methotrexat verschrieben. Hier reicht es, die Einnahme zwei Wochen nach der Grippeimpfung auszusetzen. Die Wirksamkeit steigt dann deutlich an.
- Prednison: Bei täglichen Dosen über 20 mg sollte man nicht-geimpfte Impfstoffe (also nicht Grippe) erst verabreichen, wenn die Dosis unter 20 mg gesenkt wurde. Bei niedrigeren Dosen ist das Risiko geringer.
- Transplantatempfänger: Vor der Transplantation: Impfen, wenn möglich, mindestens 2-4 Wochen vorher. Nach der Transplantation: Warten, bis die akute Abstoßungsphase vorbei ist - also mindestens 3 Monate. Einige Leitlinien akzeptieren auch 1 Monat, wenn die Situation stabil ist.
Wie unterscheiden sich die Leitlinien?
Nicht alle Fachgesellschaften sind sich einig. Die IDSA (Infectious Diseases Society of America) und die CDC empfehlen im Wesentlichen das Gleiche: Impfen vor der Therapie, warten bei B-Zell-Depletion. Aber die NCCN (National Comprehensive Cancer Network) sagt: Bei chronischer lymphatischer Leukämie soll man Impfstoffe sofort verabreichen, wenn sie verfügbar sind - auch wenn die Therapie läuft. Das ist ein klarer Kontrast.
Die MSK (Memorial Sloan Kettering Cancer Center) ist noch strenger: Sie verlangt, dass man bis zu 12 Monate nach Rituximab wartet, bevor man impft - und nur, wenn die B-Zellen wieder nachgewiesen werden. Die ACR (American College of Rheumatology) hingegen sagt: Wenn die Krankheit aktiv ist, dann ist es riskanter, die Therapie zu pausieren. Da ist die Impfung wichtiger als der perfekte Zeitpunkt.
Der größte Konsens: Wenn in der Gemeinschaft viele Infektionen auftreten - mehr als 100 Fälle pro 100.000 Einwohner - dann ist es wichtiger, den Impfstoff jetzt zu geben, als noch drei Monate zu warten. Das gilt besonders für COVID-19. Eine Impfung, die nur 40 % wirkt, ist besser als gar keine.
Was ist mit lebenden Impfstoffen?
Lebendimpfstoffe - wie Masern-Mumps-Röteln (MMR), Varizellen oder Gelbfieber - sind bei immungeschwächten Patienten kontraindiziert. Sie können eine echte Infektion auslösen. Die einzige Ausnahme: Wenn jemand vor der Therapie schon geimpft wurde und der Impfschutz abgeklungen ist, kann man unter strenger Überwachung manchmal eine Dosis geben. Aber das ist die Ausnahme - nicht die Regel.
Wenn jemand noch nie geimpft wurde und jetzt immungeschwächt ist, dann bleibt nur die Möglichkeit: Nicht-lebende Impfstoffe. Und oft müssen mehrere Dosen gegeben werden, um überhaupt eine Antwort zu erzielen. Bei COVID-19 empfehlen die CDC und IDSA für immungeschwächte Menschen bis zu vier Dosen im ersten Jahr.
Warum ist die Umsetzung so schwierig?
Die Leitlinien sind klar - aber in der Praxis klappt es oft nicht. In einer Studie aus dem Jahr 2022 wurden 47 % der Transplantationszentren als nicht konform mit den Empfehlungen eingestuft. Warum?
- Die Patienten sehen einen Rheumatologen, einen Onkologen, einen Transplantationsarzt - und einen Hausarzt. Keiner weiß, was der andere macht.
- Es gibt keine einfachen Bluttests, die zeigen, ob das Immunsystem bereit ist. Man kann nicht einfach „CD19-Zellen zählen“ und dann entscheiden. Das ist noch nicht Standard.
- Ärzte haben Angst, die Therapie zu unterbrechen - besonders bei aggressiven Krankheiten. Ein Patient mit Lymphom kann nicht warten, bis er geimpft ist.
- Kliniken haben oft keine Systeme, um Impfungen zu verfolgen. Kein Erinnerungssystem, kein elektronischer Alarm.
Ein weiteres Problem: Die meisten Studien messen die Impfwirkung nur 4-8 Wochen nach der Impfung. Aber bei immungeschwächten Patienten kann der Schutz schon nach drei Monaten stark nachlassen. Das heißt: Wir wissen nicht, wie lange der Schutz wirklich hält.
Was kommt als Nächstes?
Die Forschung geht weiter. Das NIH hat im Januar 2024 ein Projekt mit 12,5 Millionen Dollar gestartet, um zu prüfen, ob die Anzahl der B-Zellen (CD19+) ein verlässlicher Marker für den richtigen Impfzeitpunkt ist. Wenn das funktioniert, könnte man in Zukunft sagen: „Ihr B-Zell-Spiegel ist wieder über 50 Zellen/µl - jetzt ist der Zeitpunkt ideal.“
Ein weiterer Ansatz: Kombinierte Impfstrategien. Nicht nur Impfstoffe, sondern auch monoklonale Antikörper wie Evusheld (für COVID-19) werden als Ergänzung empfohlen - besonders bei Patienten, die auf B-Zell-Depletion reagieren. Diese Antikörper geben keinen langfristigen Schutz, aber sie schützen in der akuten Phase.
Und es gibt neue Impfstoffe: mRNA-Impfstoffe mit höheren Dosen oder mit veränderten Antigenen, die speziell für immungeschwächte Menschen entwickelt werden. Die erste Generation war für gesunde Menschen gemacht. Die nächste wird das ändern.
Was sollten Patienten jetzt tun?
Wenn Sie immungeschwächt sind - egal ob durch Medikamente, Krankheit oder Transplantation - dann ist die wichtigste Frage nicht: „Wann ist der perfekte Zeitpunkt?“ Sondern: „Was ist der beste Zeitpunkt für mich?“
Reden Sie mit Ihrem Arzt. Bringen Sie eine Liste Ihrer Medikamente mit - alle, auch die, die Sie nur gelegentlich nehmen. Fragen Sie:
- Welche Impfungen brauche ich noch?
- Welche Medikamente muss ich pausieren, und wie lange?
- Wann ist die nächste Infusion? Kann die verschoben werden?
- Wie viele Dosen brauche ich? Brauche ich eine Auffrischung?
- Welche Impfungen sind gefährlich für mich?
Und: Machen Sie sich keine Vorwürfe, wenn Sie eine Impfung versäumt haben. Es ist nicht Ihre Schuld. Die Systeme sind kompliziert. Aber jetzt, wo die Leitlinien besser sind als je zuvor, ist es wichtiger denn je, den Gesprächspartner zu finden - und den Schutz zu holen, den Sie bekommen können.
Ein Impfstoff, der 60 % wirkt, ist immer noch besser als keiner. Und manchmal reicht das, um einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden - oder sogar das Leben zu retten.
Kommentare
Kristin Berlenbach November 29, 2025
Ja klar, Impfstoffe sind nur ein Trick der Pharma-Großkonzerne, um uns alle zu kontrollieren. Wer glaubt, dass ein Impfstoff bei Immungeschwächten wirkt, der hat noch nie vom 'Immunitäts-Deep State' gehört. Die echte Lösung? Fasten, Kristalltherapie und das Abhalten von Mondphasen-Workshops. Die Medizin ist eine Lüge, aber dein Veganer-Kurkuma-Smoothie? Der heilt alles. 🌿👁️
Kaja Moll November 30, 2025
Ich hab’s gewusst. Sie haben die Studien gefälscht. Warum sonst würde man jemandem, der gerade eine Transplantation überstanden hat, sagen: 'Warten Sie 12 Monate'? Weil sie nicht wollen, dass wir gesund werden. Die B-Zellen? Ein Schwindel. Alles ist ein Algorithmus. Ich hab meinen Arzt gefragt, ob er die Impfung selbst nimmt – er hat geschwiegen. Das sagt alles. 🕯️
Kari Keuru Dezember 1, 2025
Es ist irrsinnig, wie viele Menschen die Komplexität dieser Frage ignorieren. Die Leitlinien sind nicht perfekt, aber sie basieren auf evidenzbasierten Daten – nicht auf Angst oder Verschwörungstheorien. Wer die Impfung ablehnt, weil er denkt, 'es hilft nicht sowieso', verhält sich nicht nur irrational, sondern gefährdet auch andere. Das ist kein 'Personal Choice', das ist gesellschaftliche Fahrlässigkeit.
Edwin Marte Dezember 3, 2025
Ich hab als Immunologe an der Uni Oslo gearbeitet – und ich sage euch: Die CDC-Leitlinien sind ein Witz. Wer Rituximab nimmt und dann nach 4 Monaten impft, der ist ein Optimist. Die Wirkung ist Null. Die Studien zeigen es. Und nein, T-Zellen helfen nicht viel, wenn die B-Zellen weg sind. Die Pharmaindustrie verkauf hier 'Hoffnung' als Medizin. Ich hab 17 Patienten gesehen, die nach 3 Dosen immer noch keine Antikörper hatten. Das ist kein 'besser als nichts' – das ist medizinische Täuschung.