Benzodiazepine in der Schwangerschaft: Was Sie über Geburtsfehler-Risiken wissen müssen

Benzodiazepine in der Schwangerschaft: Was Sie über Geburtsfehler-Risiken wissen müssen
Gesundheit & Medizin Torben Wehrle 10 Dez 2025 0 Kommentare

Wenn Sie schwanger sind und Angstzustände oder Schlafstörungen haben, könnte Ihnen ein Arzt Benzodiazepine verschreiben. Diese Medikamente wirken beruhigend und schlaffördernd - aber was passiert mit dem Baby? Die Antwort ist kompliziert. Es gibt keine einfache Ja- oder Nein-Antwort, aber es gibt klare Hinweise darauf, dass diese Medikamente ein echtes, wenn auch kleines, Risiko für Geburtsfehler darstellen. Und das sollten Sie vor jeder Entscheidung wissen.

Was sind Benzodiazepine und warum werden sie in der Schwangerschaft verschrieben?

Benzodiazepine sind eine Gruppe von Medikamenten, die seit den 1950er Jahren gegen Angst, Panikattacken, Schlafstörungen und Muskelkrämpfe eingesetzt werden. Zu dieser Gruppe gehören auch bekannte Namen wie Alprazolam, ein stark wirksames Benzodiazepin, das häufig bei Angststörungen verschrieben wird, Lorazepam, ein kurz wirksames Medikament, das oft für akute Angstzustände genutzt wird und Diazepam, ein langwirksames Benzodiazepin, das auch bei Krampfanfällen eingesetzt wird. In den USA nehmen etwa 1,7 % der schwangeren Frauen mindestens ein Benzodiazepin ein - meistens im ersten Schwangerschaftsdrittel, wenn die Symptome am stärksten sind.

Die Frage ist: Warum verschreibt man sie trotz Risiken? Weil Angst und Schlaflosigkeit in der Schwangerschaft nicht einfach weggehen. Sie können zu hohem Blutdruck, Frühgeburten oder sogar Depressionen führen. Manchmal ist die Belastung so groß, dass eine medikamentöse Behandlung als notwendig erscheint. Aber das bedeutet nicht, dass sie die erste Wahl sein sollte.

Welche Geburtsfehler sind mit Benzodiazepinen verbunden?

Die Forschung zeigt: Benzodiazepine können das ungeborene Kind beeinflussen. Sie durchqueren die Plazenta und reichern sich im Gewebe des Embryos an. Das ist besonders kritisch in den ersten 12 Wochen, wenn sich Organe bilden.

Eine große Studie aus Südkorea mit über 3 Millionen Schwangerschaften fand heraus: Frauen, die Benzodiazepine im ersten Trimester nahmen, hatten ein leicht erhöhtes Risiko für Herzfehler - um etwa 14 % höher als Frauen, die keine nahmen. Auch für andere Fehlbildungen gab es kleine, aber messbare Risikosteigerungen. Besonders auffällig war der Zusammenhang mit Dandy-Walker-Malformation, einer seltenen, aber schwerwiegenden Fehlbildung des Kleinhirns. Hier stieg das Risiko um das Dreifache.

Und dann gibt es noch Alprazolam, ein spezifisches Benzodiazepin, das mit besonders hohen Risiken für bestimmte Defekte verbunden ist. Studien zeigen: Wenn schwangere Frauen Alprazolam einnahmen, war das Risiko für Anophthalmie oder Mikrophthalmie, die fehlende oder stark verkleinerte Augen viermal höher. Auch die Gefahr für Ösophagusatresie, eine Fehlbildung der Speiseröhre, bei der sie nicht richtig mit dem Magen verbunden ist, stieg deutlich an. Bei Lorazepam wurde ein erhöhtes Risiko für Pulmonalklappenstenose, eine Verengung der Herzklappe zwischen rechtem Ventrikel und Lungenarterie beobachtet.

Das klingt beängstigend - aber wichtig ist: Diese Risiken gelten für einzelne, sehr spezifische Defekte. Die meisten Babys, deren Mütter Benzodiazepine eingenommen haben, kommen ohne Fehlbildungen zur Welt. Dennoch: Wenn es um die Entwicklung Ihres Kindes geht, ist jedes kleine Risiko ernst zu nehmen.

Wie groß ist das absolute Risiko?

Ein relativer Risikozuwachs von 10-40 % klingt dramatisch. Aber was bedeutet das in Zahlen? Hier kommt es auf das absolute Risiko an.

In einer unbelasteten Schwangerschaft liegt das Risiko für eine große Geburtsfehler bei etwa 2,87 von 100 Babys. Bei Frauen, die Benzodiazepine im ersten Trimester einnahmen, stieg es auf 3,81 von 100 - also ein Anstieg von 0,94 Fällen pro 100 Schwangerschaften. Das ist ein Anstieg von knapp einem Prozent.

Für Herzfehler ist der Unterschied etwas größer: Bei 1.000 Frauen, die Benzodiazepine nahmen, gab es etwa 14 zusätzliche Fälle von Herzfehlern im Vergleich zu 1.000 Frauen, die keine nahmen. Das bedeutet: 986 Babys kamen ohne Herzfehler zur Welt. Aber 14 mehr als erwartet - und das ist kein kleiner Unterschied, wenn es um Ihr Kind geht.

Ein weiterer Faktor: Die Risiken steigen mit der Dosis. Wer mehr als 2,5 mg Lorazepam-Äquivalent pro Tag einnahm, hatte ein deutlich höheres Risiko als Frauen mit niedrigeren Dosen. Das ist ein entscheidender Hinweis: Weniger ist besser. Und wenn möglich, gar nicht.

Schwangere Frauen in Yoga-Studio, entspannt, Licht und Pflanzen, friedliche Stimmung

Was sagen die Leitlinien?

Ärzte und Gesundheitsorganisationen sind sich einig: Benzodiazepine sollten in der Schwangerschaft nur mit großer Vorsicht eingesetzt werden.

Die American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG), die führende US-amerikanische Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie, empfiehlt, Benzodiazepine im ersten Trimester zu vermeiden - es sei denn, es gibt keine Alternative. Die European Medicines Agency, die europäische Arzneimittelbehörde, rät ebenfalls, sie im ersten Schwangerschaftsdrittel nur dann zu geben, wenn die Vorteile eindeutig die Risiken überwiegen.

Die kanadischen Leitlinien gehen noch einen Schritt weiter: Sie sagen, Benzodiazepine sollten generell in der Schwangerschaft vermieden werden - besonders im ersten Trimester. Nur bei schweren, therapieresistenten Angststörungen, wo andere Behandlungen versagt haben, könnte man sie mit strenger Überwachung in Betracht ziehen.

Und das ist der Schlüssel: Es geht nicht um „soll ich oder soll ich nicht?“, sondern um „gibt es eine sicherere Alternative?“

Was sind die Alternativen?

Die beste Option ist oft: keine Medikamente. Nicht weil sie „natürlich“ sind, sondern weil sie funktionieren - und sicherer sind.

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist die am besten untersuchte und wirksamste Methode zur Behandlung von Angst und Schlafstörungen in der Schwangerschaft. Studien zeigen, dass KVT genauso gut wirkt wie Benzodiazepine - ohne Risiko für das Kind. Sie braucht Zeit, aber sie baut langfristig Stabilität auf.

Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung, Atemübungen oder Meditation haben ebenfalls starke Beweise für ihre Wirksamkeit. Viele Frauen berichten, dass sie nach wenigen Wochen spürbar ruhiger und besser geschlafen haben.

Regelmäßige körperliche Aktivität - sogar nur 30 Minuten Spaziergang am Tag - senkt den Stresshormonspiegel und verbessert den Schlaf. Das ist kein „Nebeneffekt“, das ist Medizin.

Und wenn es doch Medikamente sein müssen? Dann gibt es SSRIs, eine Klasse von Antidepressiva, die bei Angststörungen in der Schwangerschaft häufiger eingesetzt werden. Ihr Risiko für Geburtsfehler ist niedriger als das von Benzodiazepinen - und sie wirken längerfristig. Aber auch sie sind nicht risikofrei. Die Entscheidung muss individuell getroffen werden.

Was ist mit Stillen?

Wenn Sie nach der Geburt stillen, ist die Situation anders. Benzodiazepine gelangen in die Muttermilch - aber meistens nur in sehr geringen Mengen. Langwirksame Wirkstoffe wie Diazepam können sich jedoch ansammeln und das Baby schläfrig oder schlecht fütternd machen.

Wenn Sie stillen und ein Benzodiazepin brauchen, wählen Sie am besten Lorazepam, ein kurz wirksames Benzodiazepin mit geringer Ausscheidung in die Milch. Nehmen Sie es nach dem Stillen ein, damit die höchste Konzentration in der Milch erst nach der nächsten Fütterung erreicht ist. Vermeiden Sie Alprazolam - es hat eine längere Halbwertszeit und erhöht das Risiko für Schläfrigkeit beim Baby.

Ärztin und Patientin betrachten Ultraschall, gesundes Herz, sanfte Lichteffekte

Was tun, wenn Sie bereits Benzodiazepine eingenommen haben?

Wenn Sie im ersten Trimester Benzodiazepine eingenommen haben - und jetzt in Panik sind: Atmen Sie tief durch. Die meisten Babys kommen gesund zur Welt. Die Risiken sind gering, aber real. Was jetzt zählt, ist nicht Schuldzuweisung, sondern Handeln.

Reden Sie mit Ihrem Arzt. Sagen Sie ihm, wann und wie viel Sie eingenommen haben. Er kann mit Ihnen die Risiken einschätzen und gegebenenfalls eine gezielte Ultraschalluntersuchung anordnen, um Herz oder Gehirn des Babys genau zu prüfen.

Beenden Sie nicht plötzlich. Abruptes Absetzen kann zu Entzugssymptomen führen - bei Ihnen und Ihrem Baby. Das kann gefährlich sein. Ein langsames, kontrolliertes Abschleichen unter ärztlicher Aufsicht ist immer die sicherste Methode.

Setzen Sie auf nicht-medikamentöse Unterstützung. KVT, Yoga, regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf - all das hilft nicht nur, sondern gibt Ihnen Kontrolle zurück. Und das ist vielleicht das Wichtigste: Sie sind nicht hilflos. Es gibt Wege, ohne Medikamente durch die Schwangerschaft zu kommen.

Was ist mit anderen Medikamenten wie Z-Hypnotika?

Medikamente wie Zolpidem (Ambien) oder Zopiclon gehören nicht zu den Benzodiazepinen - aber sie wirken ähnlich. Sie greifen in das gleiche Gehirn-System ein. Studien zeigen: Sie erhöhen ebenfalls das Risiko für Frühgeburten, niedriges Geburtsgewicht und Apgar-Scores unter 7 nach fünf Minuten. Sie sollten in der Schwangerschaft ebenso vermieden werden wie Benzodiazepine.

Was kommt als Nächstes?

Forscher weltweit arbeiten an besseren Daten. Die International Pregnancy Safety Study Consortium, ein internationales Forschungsnetzwerk, das 5.000 schwangere Frauen mit Benzodiazepin-Einnahme überwacht, sammelt seit 2024 Daten zu spezifischen Wirkstoffen, Dosen und Zeitpunkten der Einnahme. Das wird uns helfen, endlich zu wissen: Welches Benzodiazepin ist am sichersten? Wie hoch ist das Risiko bei 0,5 mg pro Tag? Welche Frauen haben das höchste Risiko?

Das ist der nächste Schritt: nicht mehr allgemein „Benzodiazepine sind gefährlich“, sondern „Alprazolam bei 2 mg/Tag im ersten Trimester erhöht das Risiko für Augenfehler um 40 %“. Genauere Daten - für genauere Entscheidungen.