Was ist ALS und warum sind Beatmung und Ernährung so wichtig?
ALS, auch bekannt als Amyotrophe Lateralsklerose oder Morbus Lou Gehrig, ist eine fortschreitende Erkrankung der Nervenzellen, die die Muskeln steuern. Mit der Zeit verlieren Patienten die Fähigkeit, zu gehen, zu sprechen, zu schlucken und schließlich zu atmen. Die Lebenserwartung liegt meist bei 3 bis 5 Jahren nach Symptombeginn. Doch es gibt zwei Interventionen, die nicht nur das Überleben verlängern, sondern auch die Lebensqualität deutlich verbessern: nicht-invasive Beatmung und eine gezielte Ernährungsstrategie.
Wie funktioniert nicht-invasive Beatmung (NIV) bei ALS?
Nicht-invasive Beatmung hilft, wenn die Atemmuskulatur schwächer wird. Statt einer Tracheotomie wird eine Maske über Nase oder Gesicht aufgesetzt. Der Beatmungsgerät gibt bei jedem Atemzug Luft unter Druck ab - meist mit einem BiPAP-Gerät, das zwei Druckstufen hat: einen höheren Druck beim Einatmen (IPAP) und einen niedrigeren beim Ausatmen (EPAP). Das kompensiert die schwache Diaphragmamuskulatur und sorgt dafür, dass die Lunge besser mit Sauerstoff gefüllt wird.
Die meisten Patienten bekommen das Gerät zuerst nur nachts verschrieben. Aber wenn die Krankheit fortschreitet, wird es auch tagsüber nötig. Geräte wie das Trilogy 100 von Philips können sogar mit Akku betrieben werden, sind leichter als 5,5 kg und ermöglichen Bewegungsfreiheit. Das ist entscheidend, wenn die Muskulatur weiter abbaut und der Patient nicht mehr lange sitzen oder stehen kann.
Wann sollte die nicht-invasive Beatmung beginnen?
Es gibt keine einheitliche Antwort - aber die Daten sprechen eine klare Sprache. Die europäischen und kanadischen Leitlinien empfehlen, mit der Beatmung zu beginnen, sobald mindestens ein Symptom auftritt: Morgendliche Kopfschmerzen, Tagesmüdigkeit, Atemnot im Liegen (Orthopnoe) oder eine Atemkapazität (FVC) unter 80 %. In den USA verlangen Versicherungen oft erst einen Wert unter 50 %, was zu Verzögerungen führt.
Studien zeigen: Wer früh mit NIV beginnt, lebt länger. Eine Untersuchung von Bach et al. (2006) verglich Patienten mit und ohne Beatmung. Die ohne NIV lebten im Durchschnitt 215 Tage, die mit NIV 453 Tage - das ist mehr als doppelt so lang. Ein weiterer Befund: Wer mindestens 4 Stunden pro Tag die Maske trägt, hat einen klaren Überlebensvorteil. Das ist kein Mythos - es ist messbar.
Wie wird die Beatmung eingestellt und angepasst?
Die ersten Einstellungen sind oft Standard: IPAP 12-14 cm H₂O, EPAP 4-6 cm H₂O, eine Backup-Atemfrequenz von 12 pro Minute. Aber das ist nur der Anfang. Jeder Patient reagiert anders. Einige spüren den Druck als unangenehm, andere haben Probleme mit der Maske oder leiden unter Hautreizungen.
Respiratorische Therapeuten arbeiten eng mit den Patienten zusammen. Sie prüfen die Blutgase, messen die Sauerstoffsättigung im Schlaf und analysieren die Gerätedaten. Die ersten 30 Tage sind kritisch: Nur etwa die Hälfte der Patienten trägt die Maske regelmäßig. Aber nach einem Jahr liegt die durchschnittliche Nutzung bei 27,5 Tagen pro Monat - fast täglich. Das zeigt: Die Anfangsprobleme lösen sich mit Geduld und Unterstützung.
Was sagen Patienten über ihre Erfahrungen?
In Online-Foren berichten Betroffene von konkreten Veränderungen. 87 % sagen, ihre Morgendurchschlafstörungen und Kopfschmerzen sind verschwunden. 79 % fühlen sich nachts besser ausgeruht. 72 % haben mehr Energie am Tag. Das ist kein kleiner Unterschied - das ist ein neues Leben.
Aber es gibt auch Hürden. 63 % klagen über Unbehagen durch die Maske, 41 % haben Hautprobleme, 38 % finden es schwer, gegen den Druck auszuatmen. Hier hilft die richtige Maske: Nasenmasken sind für viele leichter zu akzeptieren als Vollgesichtsmasken. Und Geräte wie das Trilogy 100 bekommen höhere Bewertungen (4,2 von 5) als einfache BiPAP-Geräte (3,7 von 5), weil sie sanfter arbeiten und mehr Komfort bieten.
Warum ist Ernährung bei ALS so entscheidend?
Wenn die Schluckmuskulatur schwächer wird, droht nicht nur Dehydrierung - sondern auch Gewichtsverlust. Und das ist tödlich. Jeder Prozentpunkt an Gewichtsverlust erhöht das Risiko für Atemkomplikationen und verkürzt die Lebensdauer.
Die Lösung: eine PEG-Sonde (perkutane endoskopische Gastrostomie). Das ist eine kleine Röhre, die direkt in den Magen eingeführt wird. Sie ermöglicht es, Nahrung, Flüssigkeit und Medikamente direkt zuzuführen - ohne zu schlucken. Die American Academy of Neurology empfiehlt diese Methode, sobald das Gewicht um mehr als 5 % sinkt oder die FVC unter 50 % fällt oder der BMI unter 18,5 kg/m² liegt.
Studien zeigen: Wer vorher eine PEG bekommt, verliert kaum noch Gewicht. Ohne Sonde sank das Körpergewicht in 6 Monaten um durchschnittlich 12,6 %. Mit PEG-Sonde nur noch 0,5 %. Und die Lebensdauer verlängert sich um etwa 120 Tage - das sind vier Monate mehr Zeit mit Familie, mit Gesprächen, mit kleinen Freuden.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für die PEG-Sonde?
Ein häufiger Fehler: zu lange warten. Viele Patienten und Ärzte hoffen, dass es noch „ein bisschen“ ohne Sonde geht. Aber die Zeit läuft davon. Die beste Zeit für die PEG ist, bevor die Atemfunktion stark nachlässt. Wenn die FVC unter 50 % sinkt, steigt das Risiko einer Narkosekomplikation bei der Operation.
Ein weiterer Hinweis: Wenn das Schlucken schwieriger wird - wenn Wasser oder Suppe öfter in die Lunge gelangt, wenn der Patient sich nach dem Essen müde fühlt oder häufig hustet - dann ist es Zeit zu handeln. Es geht nicht darum, „aufzugeben“. Es geht darum, die Kraft für das Wesentliche zu bewahren: für Gespräche, für Berührungen, für die Zeit, die bleibt.
Wie wirken Beatmung und Ernährung zusammen?
Keine der beiden Maßnahmen allein ist die Lösung. Aber zusammen? Sie verändern alles.
Studien zeigen: Patienten, die sowohl NIV als auch PEG erhalten, leben im Durchschnitt 12,3 Monate länger als solche, die keine dieser Interventionen bekommen. Das ist kein Zufall. Bessere Atmung bedeutet weniger Erschöpfung. Bessere Ernährung bedeutet mehr Energie, bessere Immunabwehr, weniger Infekte. Und das wiederum verlangsamt den Abbau der Muskulatur.
Ein multidisziplinäres Team - Neurologen, Atemtherapeuten, Ernährungsberater, Pflegekräfte - ist der Schlüssel. Nur so wird sichergestellt, dass die Beatmung richtig eingestellt ist, die Sonde rechtzeitig gesetzt wird und der Patient nicht allein mit seinen Ängsten bleibt.
Was ist mit den Kosten?
Ein einfaches BiPAP-Gerät kostet zwischen 1.200 und 2.500 Euro. Die Masken müssen alle 3 bis 6 Monate gewechselt werden - das sind jährlich 100 bis 300 Euro. Ein leistungsstärkeres Gerät wie das Trilogy 100 kann 6.000 bis 10.000 Euro kosten, ist aber oft notwendig, wenn der Patient auch tagsüber beatmet werden muss.
Die PEG-Operation ist ein kleiner Eingriff, der oft unter örtlicher Betäubung erfolgt. Die Kosten variieren, aber in Deutschland werden sie in der Regel von der Krankenkasse übernommen, wenn die medizinische Notwendigkeit nachgewiesen ist. Der entscheidende Punkt: Die Investition in diese Geräte und Eingriffe zahlt sich nicht nur in Tagen, sondern in Lebensqualität aus.
Was bleibt, wenn die Krankheit fortschreitet?
ALS ist unheilbar. Aber das bedeutet nicht, dass man nichts tun kann. Die meisten Patienten, die NIV und PEG erhalten, bleiben über Monate oder Jahre in der Lage, zu kommunizieren, zu lachen, zu lesen, zu lieben. Die Technik gibt ihnen die Zeit, die sie brauchen - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Es geht nicht darum, das Unvermeidliche aufzuhalten. Es geht darum, die Zeit, die bleibt, so menschlich wie möglich zu gestalten. Und das ist es, was diese beiden Interventionen wirklich leisten: Sie geben den Menschen ihre Würde zurück.
Kann man mit ALS auch ohne Beatmung lange leben?
Ja, aber nur selten und meist mit erheblichen Einschränkungen. Studien zeigen, dass Patienten ohne nicht-invasive Beatmung im Durchschnitt nur 215 Tage nach Auftreten schwerer Atemprobleme leben. Mit NIV steigt diese Lebensdauer auf über 450 Tage. Die Atemmuskulatur versagt schließlich vollständig - ohne Unterstützung ist eine natürliche Atmung nicht mehr möglich. Wer auf Beatmung verzichtet, stirbt meist an Atemversagen.
Ist eine PEG-Sonde schmerzhaft?
Die Einlage der Sonde erfolgt meist unter örtlicher Betäubung oder leichter Sedierung. Der Eingriff dauert etwa 20 Minuten und ist vergleichbar mit einer Magenspiegelung. Nach der Operation gibt es kurzfristig leichte Schmerzen oder Druck am Bauch, die mit einfachen Schmerzmitteln lindern lassen. Die meisten Patienten berichten, dass sie sich nach einigen Tagen wohler fühlen, weil sie nicht mehr kämpfen müssen, um genug zu essen oder zu trinken.
Macht es Sinn, NIV auch tagsüber zu nutzen?
Ja, besonders wenn die Atemmuskulatur weiter schwächer wird. Viele Patienten bemerken, dass sie tagsüber schneller erschöpft sind, besonders beim Sprechen oder Essen. Tagsüber NIV zu nutzen reduziert diese Erschöpfung und verbessert die Konzentration und Stimmung. Geräte wie das Trilogy 100 sind speziell dafür entwickelt, mobil und leise zu sein - sie erlauben es, im Rollstuhl zu sitzen, mit der Familie zu essen oder fernzusehen, während die Beatmung läuft.
Warum wird NIV manchmal zu spät verschrieben?
Viele Ärzte warten, bis die Atemkapazität (FVC) unter 50 % fällt - oft weil Versicherungen diese Grenze als Voraussetzung verlangen. Doch europäische und kanadische Leitlinien empfehlen einen früheren Beginn, sobald Symptome wie Morgendurchschlafstörungen oder Atemnot im Liegen auftreten. Diese Verzögerung kann wertvolle Zeit kosten. Die AAN empfiehlt, bereits bei FVC <80 % oder ersten Symptomen über NIV zu beraten - nicht erst, wenn es kritisch wird.
Kann man mit PEG-Sonde normal essen?
Ja, viele Patienten essen weiterhin, wenn sie eine PEG-Sonde haben - nur nicht mehr so viel. Die Sonde ergänzt die Nahrung, sie ersetzt sie nicht immer. Das ist wichtig: Es geht nicht darum, auf Essen zu verzichten, sondern darum, nicht mehr hungern zu müssen. Wer noch genießen kann, was er isst, behält einen Teil der Normalität. Die Sonde ist ein Werkzeug, kein Ende.
Welche Geräte sind für ALS-Patienten am besten geeignet?
Für die Nacht ist ein standardmäßiges BiPAP-Gerät oft ausreichend. Wenn auch tagsüber Beatmung nötig ist, empfehlen Experten Geräte mit Volumenunterstützung wie das Trilogy 100 von Philips oder das Luna G3 von Fisher & Paykel. Diese Geräte bieten zusätzliche Funktionen wie automatische Druckanpassung, integrierte Sauerstoffmessung und Akkubetrieb. Sie sind teurer, aber sie ermöglichen mehr Bewegungsfreiheit und sind oft besser verträglich. Die Zufriedenheit von Patienten mit diesen Geräten ist deutlich höher als bei einfachen BiPAP-Modellen.
Gibt es Alternativen zur PEG-Sonde?
Es gibt keine wirkliche Alternative, die dieselbe Sicherheit und Zuverlässigkeit bietet. Sonderlösungen wie Nasen- oder Magensonden sind weniger stabil und eignen sich nur kurzfristig. Eine PEG-Sonde ist die goldene Standardmethode, weil sie dauerhaft, sicher und leicht zu pflegen ist. Andere Methoden wie intravenöse Ernährung sind nicht geeignet, da sie nicht langfristig durchführbar sind und das Risiko von Infektionen erhöhen.
Wie kann man die Anpassung an NIV erleichtern?
Beginnen Sie mit kurzen Sitzungen - nur 1-2 Stunden pro Nacht. Nutzen Sie eine bequeme, gut sitzende Maske. Ein Luftbefeuchter kann trockene Schleimhäute verhindern. Sprechen Sie offen mit Ihrem Therapeuten über Unbehagen - oft lassen sich Druckwerte oder Maskentypen anpassen. Viele Patienten brauchen 3-4 Anpassungstermine, bis es passt. Das ist normal. Bleiben Sie geduldig: Die ersten Wochen sind hart, aber die Verbesserung kommt.
Kommentare
Asbjørn Dyrendal Dezember 22, 2025
Ich hab mal einen Bekannten mit ALS betreut. Die NIV hat ihm wirklich das Leben gerettet. Früher hat er nachts gewürgt, jetzt schläft er durch. Einfach nur Menschlichkeit.